Multimedien in der Physikausbildung

Ein Messvideo zum "Farbfadenversuch nach Reynolds"

Andreas Wagner, Stefan Altherr, Bodo Eckert, Hans Jörg Jodl

Universität Kaiserslautern, Fachbereich Physik
Erwin-Schrödinger-Straße, 67663 Kaiserslautern

Kurzfassung
Ein für die Physikausbildung entwickeltes digitales Video zum Reynoldsschen Farbfadenversuch zeigt kontinuierlich den Umschlag von laminarer zu turbulenter Strömung. Darüber hinaus wird mit Hilfe des Messvideos näherungsweise die kritische Reynoldszahl der Versuchsanordnung bestimmt und auf experimentelle Schwierigkeiten des Versuches hingewiesen.

Der sogenannte Farbfadenversuch nach Reynolds ermöglicht es, jeweils das laminare oder das turbulente Verhalten einer Wasserströmung zu beobachten [1]. Bisherige Videos zum Farbfadenversuch zeigen lediglich die qualitative Seite des Experimentes [2]. Ein an der Universität Kaiserslautern entwickeltes digitales Video ermöglicht den Lernenden zugleich die quantitative Bestimmung der kritischen Reynoldszahl einer Rohrströmung, indem beim Videoexperiment die Strömungsgeschwindigkeit kontinuierlich erhöht wird. Aufgrund der großen praktischen Bedeutung (z.B. Kostenersparnis durch Vermeiden von Turbulenz bei Rohrsystemen) sollen im Rahmen der Strömungslehre Kenntnisse zur Reynoldszahl und zu den Ähnlichkeitsgesetzen in der Schule [3] und in der Universität erworben werden.

Unabhängig vom Problem des Sichtbarmachens in einem Präsenzkurs, ob an der Schule oder an der Universität, spricht für die Verwendung des Videos die Tatsache, dass die Durchführung aufgrund der Erschütterungsanfälligkeit und einer ungünstig eingestellten Farbzufuhr mehrmals wiederholt werden muss. Damit das Messvideo zum Einsatz in der Physiklehre geeignet ist, beinhaltet es neben Versuchsaufbau und -ablauf auch Theorie und Auswertung.

Zu Beginn wird der reale Versuchsaufbau schrittweise in allen Details erläutert (Abb. 1). An einen wassergefüllten Standzylinder mit dem Innendurchmesser 2R schließt man horizontal ein Ausflussrohr mit Innendurchmesser 2r an. Die Durchflussrate soll mit Hilfe einer Schlauchklemme variiert werden. Zum Sichtbarmachen des Strömungsverhaltens verwendet man eine Kaliumpermanganatlösung. Die Realisierung des Experimentes wird durch mehrere experimentelle Probleme erschwert, unter anderem die zentrierte Farbzufuhr. Für diese ist ein möglichst kleines Röhrchen an der geeigneten Stelle erforderlich, damit zusätzliche Turbulenzen minimiert werden. Bei der Versuchsdurchführung wird gegenüber der üblichen Literatur zur Fluiddynamik ein etwas modifizierter Weg eingeschlagen. Statt die Ausflussrate konstant zu lassen, dreht man die Schlauchklemme immer weiter auf. Dadurch wird die Strömungsgeschwindigkeit erhöht und der Übergang von laminarer zu turbulenter Strömungsform mit Hilfe der Farbe nahezu kontinuierlich sichtbar gemacht (Abb. 2).


Abb. 1: Schematische Skizze zum Aufbau des Farbfadenversuches


Abb. 2: a) Farbfaden bei laminarer Strömung, b) Schwankungsbewegung und Abreißen des Farbfadens im Übergangsbereich, c) Ungeordnete Bewegung der Farbe bei turbulenter Strömung

Systematische Untersuchungen haben gezeigt, dass die dimensionslose kritische Reynoldszahl Rekrit Erfahrungswerte für das Umschlagen der laminaren in turbulente Strömung liefert. Definiert ist die Reynoldszahl Re als Verhältnis von Trägheitskräften zu Reibungskräften des Fluids. Bei Werten unterhalb der kritischen Reynoldszahl Rekrit werden Störungen in der Strömung durch die Viskosität der Flüssigkeit gedämpft. Oberhalb dieser Zahl sind die Trägheitskräfte der Teilchen größer als die Reibungskräfte des Fluids.

Um die kritische Reynoldszahl der gezeigten Anordnung bestimmen zu können, zeigt das Messvideo in der Sequenz "Quantitative Versuchsdurchführung" in einer geteilten Ansicht simultan den Standzylinder mit Längenskala, die Anzeige der Echtzeit, die Strömung selbst und zusätzlich die Messdaten zum Zeitverlauf des Flüssigkeitsstandes (Abb. 3).


Abb. 3: Geteilte Ansicht zur Messwerterfassung (links oben: Flüssigkeitsstand mit Längenskala, links unten: Zeitanzeige in Sekunden, rechts unten: Messpunkte zum Flüssigkeitsverlauf, rechts oben: Rohrströmung)

Aufgrund der stetigen Zunahme der Schwankungsbewegung ist das Abweichen von der laminaren Strömungsform nicht eindeutig. Wir haben zum Festlegen des Umschlagpunktes den Zeitpunkt gewählt, an dem der Farbfaden abreißt (siehe Pfeile in Abb. 2b).
Im Beispiel kann man den Zeitverlauf h(t) des Flüssigkeitsstandes mit einem relativen Fehler von weniger als 4% durch eine quadratische Gleichung beschreiben. Die mittlere Strömungsgeschwindigkeit u im Rohr erhält man dann aus den
Bedingungen für die räumlich konstante Durchflussrate. Demzufolge gewinnt man die Kontinuitätsgleichung:

I = p*r2*u = p*R2*dh(t)/dt

Um aus der mittleren Geschwindigkeit am Umschlagpunkt die kritische Reynoldszahl zu berechnen, verwenden wir die aus systematischen Untersuchungen bekannte Gleichung


Rekrit = r*2r*ukrit/h

für die "im Unendlichen entstehende" Wasserströmung ohne Farbzuführung in einem Rohr mit kreisförmigem Querschnitt [4]. Dabei ist r die Dichte des Fluids, 2r der Innendurchmesser des Ausflussrohres, ukrit die mittlere Strömungsgeschwindigkeit am Umschlagpunkt und h die dynamische Viskosität des Fluids. In unserem Beispiel erreicht die kritische Reynoldszahl der gezeigten Anordnung einen Wert von etwa 1600. Dies bedeutet eine Abweichung um 700 zum Literaturwert von 2320.

Lehrbücher zur Fluidmechanik erwecken beim Leser die falsche Vorstellung, als ob der Umschlag "immer" bei etwa Rekrit = 2320 stattfindet [4]. Grund dafür ist die fehlende klare Trennung zwischen Farbfadenversuch selbst und der Hinführung zur kritischen Reynoldszahl eines unendlich langen Rohres. Wie die Lehrbücher korrekterweise feststellen, hängt der beobachtbare Umschlag von laminarer zu turbulenter Strömung entscheidend von der Geometrie des durchströmten Raumes ab. Beim Farbfadenversuch spielt nicht nur die Geometrie des Rohres eine Rolle, sondern auch die Geometrie am Rohranfang. Dies erklärt die Abweichung der gemessenen kritischen Reynoldszahl vom Literaturwert.

Schon Arnold Sommerfeld hat in seinen Vorlesungen über theoretische Physik darauf hingewiesen [5]: "Die Grenzen der kritischen Reynoldsschen Zahl liegen etwa bei 1200 (sehr unregelmäßiger Einlauf) und 20000 (gute Abrundung der Einmündung). Unsere Aussage von der Konstanz der kritischen Reynoldsschen Zahl ist also zu beschränken auf Strömungen mit ähnlichen Anfangsbedingungen."

Weitere Informationen
Das Video "Farbfadenversuch nach Reynolds" kann auf Wunsch gegen eine Schutzgebühr von 10 EUR bei den Autoren auf CD-ROM erworben werden. In Kürze werden weitere Multimedien zur Verfügung stehen. Aktuelle Informationen dazu findet man auf der Internetseite von PEN (Physics Education Network, http://pen.physik.uni-kl.de) unter der Rubrik Informationen-Unterrichtsmaterial.

Literatur
[1]

Reynolds, O.: On the experimental investigation of the circumstances which determine whether the motion of water shall be direct or sinuous, and the law of resistance in parallel channels. In: Phil. Trans. Roy. Soc. 1883 (174), Seiten 935-982.

[2]

Ausgewählte Beispiele sind:
a) Girwidz, R.: Universität Würzburg – Physik Online - Repetitorium zur Strömungslehre (1999). Online im Internet: URL: http://www.physik.uni-wuerzburg.de/video2/mpeg/Laminar_Turbulent.mpg (Stand 2002-10-20).
b) Stewart, R.W./Friedman J.R./Hansard W.: Turbulence. Cambridge: National Committee for Fluid Mechanics Films, 1969. Ausleihbar beim IWF.
c) Breuer, K.S.: Re-enactement of the Reynolds Transition Experiment. Courtesy of Prof. J.D. Jackson, Curator of the Reynolds Museum, University of Manchester. Ausschnitte verfügbar in: Stanford University: Multimedia Fluid Mechanics, Cambridge University Press, 2000.

[3]

Siehe Lehrpläne zur Sekundarstufe 2.

[4]

Rödel, H.: Hydromechanik. 7. überarbeitete Auflage, München/Wien: Carl Hanser Verlag, 1974.

[5]

Sommerfeld, A.: Vorlesungen über theoretische Physik - Band 2: Mechanik der deformierbaren Medien. 6. Auflage, Frankfurt am Main: Verlag Harri Deutsch, 1992, Seite 105.